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bewohnten. Da beide Völker zahlenmäßig noch schwach waren, so wurden zuerst nur die günstigsten Punkte an Land­seen, Flußufern und in Lichtungen besetzt; von da aus wur­den bei der starken stetigen Volkszunahme die Nachbar­gebiete aufgeschlossen, bis in den letzten vorchristlichen Jahr­hunderten für beide Völker Übervölkerung und damit der Trieb zur Völkerwanderung eintrat.

Als Hauptergebnis offenbart sich die Tatsache, daß im zweiten vorchristlichen Jahrtausend die Germanen ein Volk und einen Staat bildeten. Späterhin ist der Gesamt­staat in seine Teile und Unterabteilungen zerfallen. Wie er­klärt sich das? Gewöhnlich zieht man zur Erklärung die räumliche Ausbreitung eines Volkes heran. Darin steckt ein Kern von Wahrheit; aber allzuviel ist damit nicht anzufangen. Weithin zerstreut, in Rußland, Siebenbürgen, Südbrasilien, Palästina usw. gibt es Deutsche; aber in der nächsten Nach­barschaft, in den Niederlanden und in Luxemburg, gibt es keine Deutsche, obwohl von Stammesunterschieden dabei keine Rede ist. Sind anfangs alle Germanen ein Volk, späterhin aber nicht mehr, so ist diese Tatsache richtig nur aus dem Alten Testamente zu deuten. Israel bestand aus einer Reihe von Stämmen; eine Einheit wurde und blieb es nur durch den gemeinsamen Glauben an Jehova. Indem die Germanen den Gott ihrer Väter bis auf eine schattenhafte Erinnerung vergaßen und so wieder völlige Heiden wurden, löste sich ihr Volkstum und ihr Staat in seine Teile auf. Mögen die Israeliten im Morgenlande viele Schuld auf sich geladen haben, es bleibt ihr Ruhm, daß sie sich zum alleinigen Dienst Jehovas durchgerungen und damit dem Christentum die nötige Grundlage geschaffen haben.

Im verkleinerten Umfang haben die Germanen die Einheit von Volk und Staat erneuert im deutschen Reiche; dabei ist bemerkenswert, daß Franken und Sachsen die Hauptsache